Schaut man sich das Immobilienportfolio „Signa Prime Selection AG“ genauer an, fällt das unscheinbare, denkmalgeschützte Karstadt-Gebäude am Hermannplatz auf den ersten Blick aus dem Rahmen. Dort ist es neben den bekannten Luxus-Warenhäusern Alsterhaus in Hamburg, KaDeWe in Berlin, Oberpollinger in München, dem Goldenen Quartier in Wien und vielen anderen angesiedelt. Auf den zweiten Blick jedoch gibt es eine große Gemeinsamkeit: der zentrale Standort. Der Hermannplatz, vor der Wende noch ein marginaler Ort, hat in den letzten Jahren eine neue städtebauliche Bedeutung innerhalb des Stadtgefüges erlangt und zieht internationale Touristenströme an. Seit einem Jahrzehnt saniert zudem der Bezirk Neukölln die Karl-Marx-Straße innerhalb des groß angelegten Sanierungsgebiets „Karl-Marx-Straße/Sonnenallee“, wodurch die Bodenwertsteigerungen und somit auch die Mietpreise in den letzten zehn Jahren immens gestiegen sind. Für einen Immobilieninvestor wie Signa eine perfekte Ausgangslage, um an dieser Stelle etwas Ikonisches zu entwickeln.
Wäre da nicht lautstarke Kritik. Sowohl die Stadtentwicklungsämter in Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln, Politiker von Grünen und Linken als auch die Zivilgesellschaft – die Initiative Hermannplatz gründete sich letztes Jahr gegen Abriss und Folgen für die Bewohnerschaft – und eine kritische Presse sorgten für einen öffentlichen Diskurs über das Projektvorhaben. Seither proklamiert Signa in einer groß angelegten Kampagne: „NICHT OHNE EUCH!“. Ein Versprechen, nicht ohne die Bewohnerinnen und Bewohner Kreuzbergs und Neuköllns „die Zukunft des Karstadt am Hermannplatz zu gestalten“. Ein Beteiligungsangebot, das bisher nicht angenommen wurde.
Bereits Anfang September 2019 begann Signa die Kampagne mit einer Ausstellung über das historische Gebäude im Obergeschoss des Karstadt-Gebäudes sowie mit einem Hoffest für die Einweihung einer Café-Box, eines Fahrradwegs samt Werkstatt-Station, Pflanzenbeeten und weiteren Elementen, die als „Prototypen“ für vermeintliche Nutzungen des Projektvorhabens kommuniziert werden. Das im Portfolio der Signa „Berlin Hermannplatz“ genannte Gebäude stellt für den Eigentümer eine „Projektentwicklung der besonderen Art“ dar. So ist die Entwicklung eines „gemischt genutzten sowie lebendigen Quartiers für alle Berliner/Innen und deren Besucher/Innen“ beabsichtigt. Also nicht eines Gebäudes oder eines Warenhauses, sondern eines ganzen Quartiers. Und tatsächlich scheint Signa den Bezirken ungefragt bei Themen wie der Verkehrsplanung – Stichwort Verkehrswende und Verkehrsberuhigung – und der Umgestaltung des Hermannplatzes unter die Arme greifen zu wollen. Eine eigens dafür veröffentlichte Broschüre „Hermann und Henriette – Unsere Verkehrswende-Vision für das Karstadt-Gebäude und den Hermannplatz“, stilisiert das geplante Art-Déco-Gebäude zur Frauenfigur „Henriette“ und den Platz zu ihrem Partner „Hermann“, die zusammengehören. Räumlich übersetzt sich das in die Verkehrsberuhigung der Straßen und des Platzes auf der dem Gebäude zugewandten Seite. Eine nicht uneigennützige und vor allem recht aufwändig aufbereitete Vision.
Ein Konzern beginnt die Gestaltung von Plätzen und Verkehrsplanungen mit einer groß angelegten, öffentlichkeitswirksamen Kampagne zu beeinflussen, noch bevor es seitens der Stadtplanung hierzu erste, konkrete Schritte gegeben hat. Das ist eine Strategie, mit der Signa die Politik vor sich hertreibt. Unterstützt von der Unternehmensagentur Joschka Fischer & Company verfolgt das Unternehmen eine Strategie, die als „Greenwashing“, „Artwashing“ oder „Kiezwashing“ bezeichnet werden kann – also die Aneignung ökologischer, kultureller oder nachbarschaftlicher Eigenschaften in den Marketingkonzepten ihrer Öffentlichkeits-Kampagne. Mit einem als Fahrradweg durch den Hof verpackten „grünen“ Versprechen, sich für nachhaltige Mobilität einzusetzen, wird so beispielsweise die Absicht der Verkehrsberuhigung des Platzes für mehr Passantenfrequenz an der Hauptseite des Gebäudes verfolgt. Zugleich ist Joschka Fischer & Company mit ihren Beziehungen zu Berliner Politik und Wirtschaft ein wichtiger Akteur in der Vernetzung des Konzerns mit den wichtigen Berliner Entscheidungsträgern.
Der Widerstand ist groß – 27 stadtpolitische Initiativen haben sich mit einem gemeinsamen Statement gegen das Projektvorhaben formiert – und richtet sich nicht nur gegen das Vorhaben, sondern auch gegen die Mittel, mit denen es durchgesetzt werden soll. Allen voran wird der unterzeichnete Signa-Deal mit dem Senat als autoritäre Entscheidung über die Köpfe der Bewohnerschaft hinweg empfunden. Es ist zu befürchten, dass mit diesem Großprojekt – wie so oft in Berlin geschehen – die Immobilienspekulation weiter angeheizt wird, ärmere Bewohner verdrängt werden, Mieten für Wohn- und Gewerberäume steigen und die Diversität im Kiez verloren geht. Sowohl vor als auch nach der Anhörung des Investors am 2. September im Stadtentwicklungsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses lief die Kampagne auf Hochtouren. Wenige Tage zuvor veröffentlichte Signa in den Sozialen Medien neue Bilder des Neubau-Vorhabens, das sowohl einen „modernen Stadtwald“ als auch eine „großflächige Solar- und Photovoltaik-Anlage“ auf dem Dach vorsieht. Signa verspricht immer wieder viele marketingwirksame Nutzungen hinter der immer gleichen Retro-Fassade.
Aber was konkret geplant ist, bleibt im Dunkeln. Genau über diesen Widerspruch wurde bei der Anhörung diskutiert. Sie fand unter Ausschluss der Zivilgesellschaft, betroffener Anwohner/innen und kritischer Architekt/innen statt. Die Frage, wie eine ausgewogene Planung zeitgleich mit der offensiven Kampagne möglich sein soll, stand nicht zur Debatte. Ebenso wenig wie die Kritik, dass die Voraussetzungen für echte und gerechte Beteiligung vor Ort nicht erfüllt sind. Denn wer schon in der ersten Anhörung kritische lokale Akteure ausschließt, kann es mit der Beteiligung nicht wirklich ernst meinen.
Niloufar Tajeri
zuerst veröffentlicht in: Bauwelt 22.2020